Aufklärung geht anders

“Das Internet ist meine Front“
Das digitale Protestkollektiv Anonymous hat für den 5. November eine Attacke auf Facebook angekündigt. Ein Aktivist erklärt, was Facebook-Nutzern blüht. …

aus: Anonymous-Aktivisten gegen Facebook: “Das Internet ist meine Front” – taz.de

Ich weiß wirklich nicht, was ich von den Worten des Anonymous-Aktivisten in diesem taz-Interview halten soll. Ich muss vorweg schicken, dass ich mit Anonymous grundsätzlich Schwierigkeiten habe, weil es tatsächlich so zu sein scheint, wie der Aktivist erklärt:

Unter den Anons gibt es Linke, Anarchisten, Nazis, Kommunisten, Rassisten, Marxisten, Hippies, Aufklärer, Bürgerliche, Revolutionäre … …

aus: Anonymous-Aktivisten gegen Facebook: “Das Internet ist meine Front” – taz.de

Tut mir leid, Anonymous, aber erstmal ganz grundsätzlich: Ich organisiere, oder engagiere mich niemals Seite an Seite mit Nazis. Ich verstehe und unterstütze Eure Kritik am Raubtierkapitalismus, an den Schwächen demokratischer Strukturen und den Ungleichgewichten auf dieser Welt, aber das ist alles verhandlungsfähig, diskutabel und demonstrierbar. Die Neo-Nazi-Plage ist das nicht. Da ist das Ende aller Gemeinsamkeiten erreicht. Da gibt es keine Basis. Keine Akzeptanz.

Die für Samstag geplante Aktion gegen Facebook verstehe ich auch nicht. Eine »spam-artige Aufklärungskampagne« soll es werden. Aha. Mal ‘ne Frage: Habt Ihr denn aus den frühen Anarcho-Tagen des letzten Jahrhunderts nichts gelernt? Ihr denkt tatsächlich, wenn Ihr die fröhlich vor sich hin chattenden, spielenden, »tausendmal-gesehene-YT-Video«-veröffentlichenden Glücksnussöffner und Binsenweisheitenposter, wenn Ihr diese Leute – die sowieso nie Zeit haben und eigentlich gar nicht da sind – also in ihrem Treiben stört, dann denkt Ihr, dass die Euch uneingeschränkt und wohlwollend Zeit und Gehör schenken, wenn Ihr nach Eurer Ankündigung handelt und die »zuspammt«?

Das Internet ist meine Front. […] Facebook soll so stark wie möglich geschädigt werden. Ziel ist es, dass so viele Benutzer wie möglich Facebook verlassen.

Ehrlich? Das glaubt Ihr? Das ist ein Irrtum. Das Internet ist nicht »die Front«. Das Internet kann höchstens das Schlachtfeld sein, in dem Ihr Euch eine Front erstmal erarbeiten müsst. Auf der anderen Frontseite sind in diesem Fall aber auch die normalen User, die Ihr vor den Kopf stosst, wenn Ihr denen ihre digitale Zeit klaut. Die finden das nicht witzig. Nein, es ist noch besser: Die wollen gar nicht »befreit« werden.

Gibt es da wirklich keinen halbwegs begabten Küchenpsychologen unter Anonymous, der diesen naiven Irrglauben verständlich als solchen erklären kann? Das mag ich kaum glauben. Keine Sau wird wegen Eurer Aktion Facebook verlassen. Den Leuten gefällt’s dort. Keiner zwingt die zu irgendwas. Ihr schädigt Facebook damit auch nicht. Facebook ist wie das alte China mit seiner Mauer: Die Leute innerhalb dieser Mauer haben alles, was sie zum Leben brauchen. Die werden Euch in besten Fall verwundert anglotzen, wenn Ihr die Mauer erstürmt. Und besser noch: der Großteil wird’s nicht mal mitkriegen.

Genau wegen dieser sogenannten Freiwilligkeit ist Aufklärung bitter nötig. Unsere Kritik richtet sich gegen die Datensammelwut der Firma Facebook und dagegen, dass die Nutzer sich nicht im Klaren darüber sind, an wen Facebook die gesammelten Daten verkauft und was für Konsequenzen das für sie hat.

Wieder falsch. Das hat für diese Nutzer jetzt und hier überhaupt keine Konsequenzen. Besser noch: Das was Facebook macht, kennen sie seit Jahrzehnten von anderen Medien: Menschen nutzen das Medium und werden dafür mit Werbung zugeballert. Punkt. Der einzige Unterschied ist, dass man in Fb jetzt aktiv mitmachen darf, und das macht Spaß. Facebook ist eine Firma, die viel Geld verdient, weil sie viele Bedürfnisse ihrer Nutzer befriedigt.

Jetzt mal im Ernst: Denkt Ihr wirklich, die Leute wüssten mittlerweile nicht, was mit ihren Daten geschieht!? Jede Facebook-Seite vom kleinen Lokal-Blog bis zu den TV-Quoten-Marktschreiern hat solche Headlines im BILD-Stil im Programm: »Wisst Ihr was Facebook mit Euren Daten macht?«, oder: »Facebook essen Seele auf«. Das gibt »Quote« in Facebook. Das schauen sich die Leute an. Sie lesen es sogar, wenn es nur kurz und reißerisch genug gehalten ist, und dann sagen sie: » Ach Gottchen, ja … ich hab‘ ja nix zu verbergen.« Und das war’s dann.

Das ist aber nur der eine Teil der Facebook-Gemeinde. Der andere Teil besteht aus den Net-People, den Digital Natives, den Socialmedia-Fuzzies, den Altvorderen, den Mailbox-Überlebenden, den Seitenbetreibern und den ganz kleinen Blog-Hanseln wie mir. Wir werden unsere Artikel darüber schreiben, das Event ankündigen, und dann mit Popcorn vor den Maschinen sitzen und selber auf das Event warten – so wie an Silverster auf’s Feuerwerk. Hinterher schreiben wir dann darüber, um Quote und Öffentlichkeit zu machen. Inhaltlich natürlich eben je nach eigener mentaler Verfassung und digitalem Standort.

Das bedeutet im Grunde, dass Ihr diese Aktion ruhig so durchziehen könnt. Ihr werdet die Clowns mit den Masken sein, die einen Tag lang in Facebook Karneval der Kulturen gemacht haben. Fertig. Glaubhafte Überzeugungsarbeit geht anders. Die braucht Kontinuität, Dialog und Angebote. Es gibt Alternativen zu Facebook. Diaspora* und Friendika zum Beispiel. Ich bewerbe lieber die Alternativen und zeige, wie man dort digital leben kann.

Ich überlege die ganze Zeit schon, ob ich Euch gegenüber unfair bin. Ach verdammt, ich weiß nicht genau warum, aber Euer »Hurra, wir machen Facebook platt«-Geschrei nervt mich einfach. Das ist pubertär. Es ist gut, wenn sich Menschen engagieren. Es gibt viel zu viele Duckmäuser, Mitläufer und Gutmenschen aus Scheuklapphausen, aber verdammt, irgendwas passt mir nicht an Euch.

Ich denke, ich weiß was es ist: wenn ich jetzt eh schon dabei bin, mich bei Euch unbeliebt zu machen, dann kann ich das jetzt auch noch sagen. Mir passt der Faktor Anonymität nicht. Nicht hier. Man kann von diesem Land halten was man will, aber man kann sein Gesicht zeigen, wenn man seine Meinung sagt. Wir geniessen Meinungsfreiheit. Man muss hier nicht anonym bleiben. Man kann für seine Meinung einstehen. Klar, man muss Konsequenzen tragen, wenn man über verfassungsrechtliche Grenzen geht, aber das trifft doch alles nicht zu, wenn man nur mal Facebook kacke finden will.

Ich stimme Euren Datenschutz- und Datenhandelsbedenken in weiten Teilen zu, aber dazu muss ich nicht in einen Pseudo-Untergrund gehen. Das ist kontraproduktiv, weil es den »rechtsfreier-Raum«-Schreihälsen nur Munition liefert.

Kurz gesagt: Wir brauchen Aufklärung. Das seht Ihr richtig. Aber: Aufklärung geht anders.

PS: Bin trotzdem froh, dass es Euch gibt … irgendwie.

PPS: An alle, die dies lesen: Falls es Anonymous morgen doch schaffen sollte Facebook irgendwie lahm zu legen, schaut doch einfach mal in der Diaspora* und/oder bei mir vorbei.

2 Kommentare zu „Aufklärung geht anders“

  1. Walburga Kampf - Das Faktotum

    Dem gibts nichts hinzuzufügen. Danke das Dir die Zeit nahmst und ihm erklärtest wie Anonymous auf viele wirkt. Als Gesichtslose sind sie eh leicht angreifbar durch Trittbrettfahrer. Ich kauf auch nicht dieses ehrenwerte das sie ja für sich beanspruchen ab.. Der CCC z.B.handelt und geilt sich nicht an reisserischen ankündungen auf. LG Micha

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