Patridioten und Patrioten und Fußballfans

Ich hab‘ vor einigen Tagen einen Artikel gelesen, weißnichtmehrwo, in dem es um das gleiche Thema ging, wie in dem hier verlinkten Artikel:

EM-Patriotismus: Meine gefährliche Liebe zu Deutschland – ZEIT ONLINE mobil (anklicken und lesen, damit das weitere Lesen hier Sinn macht) 

Ich muss gestehen, dass mich der damalige Artikel aufwühlte, ich aber nix drüber schreiben wollte, weil meine Gedanken so ambivalent waren. Als ich jetzt aber eben noch diesen Artikel las, war es irgendwie genug. Die Gedanken müssen raus aus der Birne. Ungeordnet. Nicht zu Ende gedacht. Egal.

Es gibt keinen harmlosen und toleranten Patriotismus!

Das ist der Tenor in diesem Artikel, und das ist auch die Essenz der Erkenntnis, der darin erwähnten Untersuchung. There’s no Partypatriotism.

Zunächst: Ich gehe gerne ich gerne zum Publicviewing und bin begeistert vom Spiel des deutschen Teams. Ich war auch schon bei den spontanen Fanflashmobs in der nahegelegenen Kleinstadt nach den Spielen des deutschen Teams. Ich hab‘ sogar schon mal bei einem dieser Anlässe ein DFB-Shirt getragen. Darum regt sich in mir spontan Gegenwehr, weil ich mich durch diese Untersuchung in einen Topf mit dumpfbackigen Nationalisten und Deutschtümlern geworfen fühle. Da gehöre ich nicht hin, da bin ich mir sicher. 

Die Frage ist: Bin ich ein Patriot? Und falls ja – und wenn überhaupt: Bin ich ein positiver Patriot? Also so einer, der für seine Herkunft empfinden, stehen, kämpfen und leiden kann, ohne dafür Menschen anderer Herkunft abzuwerten und zu verachten. Also so ein Typus, den es nach den Untersuchungsergebnissen überhaupt nicht geben dürfte?
Schlimmer noch: Muss ich mich, wie der Autor des Artikels fragen, ob ich vielleicht ein verkappter Nationalist bin, der unter der harmlosen Patriotismushaut die Geschwüre der Intoleranz ausbrütet?
Ja, das muss ich mich fragen. Natürlich. Ich hinterfrage alles, was mit Nation, Staat und Herkunft zu tun hat. Das wurde mir eingeimpft. So wurde ich erzogen. In dem Artikel steht dazu eine Aussage, die auf mich voll zutrifft:

Wenn ich eine deutsche Flagge sehe, spüre ich nichts, weder Stolz noch Scham.

So ist es. Dieser Staat ist für mich eine nützliche Organisationsform, die sich bis hier hin bewährt hat – fertig. Ich bin Teil dieses Staats und habe dafür zu sorgen, dass dieser demokratische, aufgeklärte Gesellschaftsverbund auch genau das bleibt. Ich schäme mich nicht für die Vergangenheit des Vorgängerstaats. Ich verurteile sie und versuche dafür zu sorgen, dass so etwas nie wieder geschieht.

Demgegenüber: Deutscher zu sein, erfüllt mich nicht mit Stolz. Dafür kann ich nichts. Dafür hab‘ ich nix getan. Stolz bin ich auf Dinge, die ich selber geschaffen, verantwortet oder erfunden habe. Über alles andere freue ich mich, im Fall des Falles, das war’s dann aber auch. Ich verstehe einfach nicht, wie man stolz auf eine Herkunft sein kann.

Ich bin alt genug, um die schreckliche deutsche Vergangenheit an dem tiefen Schmerz in den Augen und den Worten derer gesehen und gehört zu haben, die lebendiger Teil dieser schrecklichen Ereignisse waren. Außerdem bin ich in einer Zeit sozialisiert worden, in dem der Nonkonformismus Heilsversprechung war. Deshalb sind mir Massenaufläufe immer auch irgendwie suspekt. Deshalb bin ich, wenn’s geht, anders. So sieht’s aus.

Aus diesem Grund befremdet es mich, wenn beim Publicviewing „Steht auf, wenn ihr Deutsche seid“ gesungen wird, und jede Menge Leute aufspringen. In diesem Moment fühle ich mich unwohl. Kein Quatsch. Da mache ich nicht mit. Kann ich nicht.

Ich springe aber mit allen anderen auf, wenn Gomez, oder wer auch immer, ein Tor schiesst. Das ist toll. Es hat sogar mal Spaß gemacht, eine Deutschlandfahne aus dem Fenster zu hängen und in die Vuvuzela zu pusten, weil das in unserem Dorf sonst niemand tut. 

Das Spiel des deutschen Teams begeistert mich. Ich bin Fan des deutschen Teams, wenn es spielt. Mich begeistert auch das Spiel des spanischen Teams. Ich bin kein Fan des spanischen Teams, wenn es spielt. Spielen beide gegeneinander, hoffe ich, das das deutsche Team gewinnt. Warum? Weil ich doch Deutschtümler bin? Nein, weil Fußball nur dann richtig Spaß macht, wenn man sich dem Risiko des Verlierens, dem Gefühl der Niederlage, ohne Netz und doppelten Boden ausliefert. Es macht nur Spaß, wenn man auch verlieren kann. Nur dann ist der Sieg auch etwas wert. Das liegt doch im Wesen des Spiels. Und wäre ich ein sauguter junger Fussballer, würde ich wegen meines Geburtsorts im deutschen Team spielen. Ich würde gewinnen wollen. Ich würde ein besseres Fussballteam sein wollen, als mein Gegner. Dafür muss ich doch aber nicht zwanghaft und generell meinen Gegner abwerten. Das leuchtet mir nicht ein. 

Ich will Puplicviewing, Autokorsos und Fanaufläufe mögen dürfen, ohne in eine nationale, intolerante Ecke gedrängt zu werden. Ich will Niederländer und Witze über Niederländer gut finden dürfen, wenn sie pfiffigen Wortwitz enthalten – und nur deshalb.
Bis hier her: Freud beantwortet längst nicht alle Fragen. Aber ich weiß auch: es gibt die „Steht auf“-Rufer, und sie machen mich nervös. Das ist Fakt. Ich weiß nur nicht, ob mir die oben verlinkte Untersuchung dieses Unbehagen wirklich erklärt. Das Thema ist komplex, und meine Worte hier wirr und zu schnell ins Netz gehackt, aber mir erscheint die Untersuchung an vielen Stellen zu zweidimensional. Es hört sich allzu einfach an, und es wäre doch zu einfach, sie einfach nur abzutun. Keine Ahnung, vielleicht gibt es doch Patrioten, Patridioten und einfach nur Fußballfans. Vielleicht auch nicht.

[Update]

Frau An Ja hat mich in Facebook (oder wie es gerne nenne: »das Bällchenparadies am Interneteingang«) auf einen Artikel aufmerksam gemacht, dessen Autor sich mit ganz ähnlichen Problemen wie ich runm schlägt: Hurra, Patriotismus! Sehr lesenswert!

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