Wulff sorgt sich um die deutsche Demokratie
Bundespräsident Wulff betont, die Demokratie sei nicht unerschütterlich. Der Graben zwischen Wählern und Gewählten werde größer.
Die aktuelle Zweitbesetzung für’s Bundespräsidentenamt weint. Er weint in ein Interview, dass er tieftraurig darüber ist, dass das Wahlvieh so schlecht zu den gewählten Politeusen ist.
Wulff hatte sich zuvor bereits besorgt über das schlechte Image von Politikern gezeigt. „Heute begleitet auch die Politiker viel Häme, viel Spott und viel Misstrauen – mehr als früher, und das kann so nicht bleiben“, kritisierte der Bundespräsident.
Mein lieber Herr Wulff, in einer Sache kann ich sie beruhigen: Nicht erst mit dem Schauspiel zu ihrer Wahl, haben die Berufspoliteusen das mitdenkende Volk zu Spott, Häme und Misstrauen getrieben. Nein. Das ist auch schon vorher passiert. Zum Beispiel mit fadenscheinigen Argumenten zum Erhalt der Atomstromgeldgenerierungsquellen, mit der fortgesetzten Zerlegung des Sozialstaats, mit den Bücklingen vor der Zockermafia und den anschließenden Vorwürfen der Chefpoliteuse, „wir“ hätten über unsere Verhältnisse gelebt. Und so weiter. Und so weiter.
Nein, Herr Wulff, so wird ein Schuh daraus: Die Kollegen von denen sie sich haben wählen lassen, Herr Wulff, regieren über ihre Verhältnisse. Und weil dass so ist, sind Sie, Herr Wulff, kein Vermittler, denn Sie sind ganz klar einer aus dieser Politeusenkaste. Einer, der sich mit Postengeschacher und der Kapitalistenausführung des Terminus „manche sind gleicher als andere“ bestens auskennt.
Er kündigte an, seine Amtszeit deshalb auch dem Thema Zukunft der Demokratie zu widmen. „Wie können wir wieder mehr Menschen motivieren, bei der demokratischen Willensbildung mitzumachen? Wie organisieren wir solche Prozesse, möglicherweise auch im Internet?“
Ganz einfach, Herr Wulff, durch überraschende, aufrüttelnde Maßnahmen: Treten Sie doch einfach mal zurück. So wie Ihr Vorgänger. Sagen Sie einfach, dass Sie das Gefühl haben, nicht die Mehrheit des Volkes hinter sich zu wissen, weil sie durch ihre Herkunft befangen sind. Schlagen Sie vor, dass der nächste Bundespräsident vom Volk direkt gewählt werden soll. Sagen Sie, dass gehöre zu Ihrer Vision zur Zukunft der Demokratie.
Sagen Sie, dass durch den ungewöhnlichen Schritt ihres Vorgängers sich ganz offensichtlich Chancen aufgetan und Interesse beim Volk geweckt wurden. Sagen Sie, dass sie registriert haben, dass Beteiligung und Meinungsbildung im Volk sehr wohl stattgefunden hat, bis sie von einem peinlichen Geschacher, der Ignoranz und dem Laienschauspiel Ihrer Berufskollegen jäh wieder erstickt wurde. Obendrauf garniert durch Sprüche wie: „… dass sei doch alles im üblichen demokratischen Rahmen abgelaufen.“
Ja, Herr Wulff, das ist es, und genau darum wird der Graben zwischen Wählern und Gewählten größer, weil alles wie immer im üblichen Rahmen verläuft, während die Anforderungen an uns genau diesen aber schon längst gesprengt haben. Der Graben wird größer, weil die Menschen erkennen, dass die Politik mit den aktuellen Herausforderungen überfordert ist, und die Wirtschaft mit ihr Schlitten fährt. Der Graben wird größer, weil die Menschen erkennen, dass Politik das aber nicht zugeben kann, ohne sich selber in Frage zu stellen.
Sie wollen Menschen motivieren, die in der Regelungswut dieses Staates ersticken? Denen keiner hilft die galoppierende Wachstumsgeilheit der Wirtschaft zu erkennen, zu verstehen und zu bremsen? Die in einem Land leben, welches nur noch die reiche Fassade putzt und schützt, im Inneren aber ein kompletter Sanierungsfall ist? Sie wollen Menschen motivieren, die nach Visionen und Hilfe in dieser Pappkulisse schreien?
Dann gehen Sie. Das wäre ein Signal für die Zukunft der Demokratie.
Machen Sie Platz für Menschen, die eigene Pfründe kritisieren, die visionäre Kurse vordenken und vorleben, und die an einer zukunftstauglichen Ethik aller Lebewesen, einschließlich des Planeten auf dem wir leben, arbeiten. Dann erledigen sich ihre Sorgen um die „Zukunft der Demokratie“. Verstehen Sie mich nicht falsch, Herr Wulff, sie fordern schon etwas Richtiges und Wichtiges, nur leider aus den falschen Gründen.
Die Menschen, für die sie vordenken sollen, haben Probleme mit dem Inhalt des Kartons, den Sie Demokratie nennen. Sie aber wollen lediglich den Karton wieder zusammenkleben.