Obwohl dieser Artikel mit dem Stichwort „Apple“ startet, hat er doch im weiteren Verlauf nichts, oder nur wenig mit der allseits bekannten Computerschmiede zu tun:
Steve Wozniak – “Apple hat Nuance gekauft” (Update)
Apple-Mitbegründer Steve Wozniak hat in einem Interview behauptet, dass Apple den Softwarehersteller Nuance Communications gekauft hat. Daraufhin legte die Aktie des Entwicklers von Spracherkennungstechnologie stark zu. Doch Wozniak hat inzwischen eingeräumt, einfach Firmennamen verwechselt zu haben. […] Wozniak betonte, dass Spracherkennung für Computerhersteller sehr wichtig geworden sei und sagte: „Apple sieht das wahrscheinlich genauso, sie haben kürzlich Nuance gekauft, das eine Menge großartiger Spracherkennung für das von mir erwähnte Programm Siri Assistent herstellt.“ Daraufhin legte die Nuance-Aktie um fünf Prozent auf 17,99 US-Dollar zu. http://www.golem.de/1011/79627.html
Der große Steve Wozniak hat sich also einfach mal geirrt. Das kommt vor. Ihm ist passiert, was vielen von uns täglich passiert: Er hat schlicht zwei Namen verwechselt. Da Wozniack aber eben, der berühmte Wozniak ist, hatten seine Worte Auswirkungen. Eine Firma war plötzlich mehr Geld wert. Es war Geld in der Welt, welches vorher noch nicht da war, nur weil Herr Wozniak zwei Namen verwechselt hatte. Hätte die Verwechslung von Wozniak umgekehrte Vorzeichen gehabt, und die Firma wäre plötzlich weniger Geld wert gewesen, hätte das womöglich viele Menschen den Arbeitsplatz kosten können.
Es stimmt schlicht, so platt wie es ist, das Beispiel vom Wall-Street-Börsianer, der am Montagmorgen schlecht gelaunt aufsteht und durch ein unbedacht ausgeplappertes Gerücht, oder einen schlecht platzierten Deal, am anderen Ende der Welt tausende von Menschen in existenzbedrohende Armut schleudern kann.
Vielleicht kriegt er davon sogar überhaupt nichts mit, denn das System ist kompliziert, die Effekte unüberschaubar und für ihn sind es nur Prozentpunkte auf einer Skala. Für ihn sind es vielleicht nur Adrenalinspitzen vor’m Mittagessen mit den Kollegen im sogenannten „CEO Valley“ in New York. Vielleicht war alles sogar Absicht – wer weiß?
Wovon reden wir da? Von unvermeidlichen Kollateralschäden in einer alternativlosen freien Marktwirtschaft der Aktien, Banken und “Global-Player“?
Julius Endert hat in einem guten Artikel, in dem er Marietta Slomka angebrüllt hat, schön beschrieben, warum es eventuell so ist, dass wir den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen:
“Banken sind systemrelevant” ist noch so ein nie hinterfragtes Neusprech-Mem. Um welches System geht es denn bitte? Im Zusammenhang mit Schulen, Unis, Kindergärten, der Feuerwehr, der Gerichte, der Polizei und der Krankenhäuser habe ich diese Formulierung noch nie gehört. Einzig bezogen auf die Kapitalmärkte hat sie Gültigkeit. Doch in all diesen Bereichen wird jetzt das Geld zusammengekratzt, um dieses andere System vor dem Zusammenbruch zu bewahren. (aus: Und dann habe ich Marietta Slomka angebrüllt! – julius01)
Leben wir den Fatalismus, was unser Finanz- und Wirtschaftssystem angeht? „Alternativlos“ ist da ein interessantes Wort. Man sollte mal darauf achten, wie oft es von Politikern benutzt wird. Mit diesem Wort erstickt Politiker gerne Gegenargumente, und zwar schon bevor sie erstmals atmen konnten:
- Steuersenkungen: Merkel nennt Sparkurs alternativlos | Politik | ZEIT ONLINE
- Regierungserklärung: Merkel nennt Afghanistan-Einsatz alternativlos – Nachrichten Politik – Deutschland – WELT ONLINE
Die Botschaft solcher Aussagen ist klar und einfach erfassbar: Höre Volk, akzeptiere das Fatale. Wir haben es für Dich durchdacht und erkannt. Weitere Diskussionen erübrigen sich.
Aber – wie immer – Volker Pispers bringt das besser auf den Punkt:
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YouTube – Volker Pispers – Alternativlos (04.05.10)
So ist es. Es ist kompliziert. Unser Kapitalismus, unsere Finanzmärkte, die Mechanismen, die darin funktionieren, sind kompliziert, und wenn ein Politiker – oder wahlweise ein Wirtschaftsmann mit Eigeninteresse! – sagt, etwas ist „alternativlos“, dann meint er damit eigentlich: „Lassen wir lieber die Finger von großen Veränderungen. Das ist kompliziert und schwierig, und Änderungen nicht in unserem Interesse.“
Gleichzeitig wird damit die Verantwortung auf ein System abgeschoben, und keiner ist mehr letztlich verantwortlich für die Folgen (siehe Eingangsbeispiel; oben). Damit wird dieses System auch gleichzeitig überhöht, kriegt Dogmen verpasst, und die Resultate, die das System produziert (z.B. ein Bankencrash), wandern in den Bereich des Mystischen: Opfert dem System, damit es uns erhält und weiterhin Geld produziert. Nicht erst seit dem HRE-Zwischenfall wandert der Kapitalismus Richtung Religion. Wie die Geschichte aber lehrt, wandert damit der Mensch in solchen Gesellschaften wieder Richtung Unmündigkeit und Wunderglaube.
Glauben wir wirklich, dass Banken, die per Zinseszins Geld schaffen, dass Börsen, die mit diesem „erfundenen“ Geld spekulieren und dass Staaten, die sich bei diesem System Geld leihen unabdingbar notwendig für die weitere menschliche Entwicklung sind? Anders gefragt: Haben wir den Eindruck, dass dieses System funktioniert. Wirklich funktioniert? Geht es uns allen gut? Wird für unsere Kinder adäquat gesorgt? Leben unsere Alten ein würdiges und erfülltes Leben? Schauen wir alle tagtäglich von unserem Arbeitsplatz aus beruhigt in die Zukunft?
Falls der Leser eben gerade ins Stocken geraten ist, und die Stirn gerunzelt hat, dann will ich noch hinzufügen: Und dabei habe ich eben noch gar nicht gefragt, was mit dem großen Teil der Menschheit ist, der nicht an den westlichen Futtertöpfen sitzt. Was ist zum Beispiel mit denen, die tagtäglich dafür zahlen müssen, dass unsere hochgelobte Informationsgesellschaft funktioniert? Was ist zum Beispiel mit den Menschen im Kongo, die seit Jahren einen Krieg um Ressourcen über sich ergehen lassen müssen, damit westliche Handys und Netbooks brummen: Ressourcen im Kongo
Im Konflikt, der seit Beginn 1996 in der Demokratischen Republik Kongo herrscht, geht es hauptsächlich um die Kontrolle, den Abbau und den Handel von mineralischen Ressourcen (Coltan, Diamanten, Kupfer, Kobalt, Gold, aber auch Edelhölzer). “Der Kongo wird systematisch ausgeplündert”, stellt die UN in einem Bericht von 2001 fest. […] Obwohl die Bevölkerung in Armut lebt, ist das Land aufgrund der weltweit besonders begehrten Rohstoffe sehr reich. Coltan, eine der gefragtesten mineralischen Ressourcen der Welt, enthält das Metall Tantal, das in der Raumfahrtindustrie und in der Computer- und Kommunikationstechnologie für Laptops und Handys verwendet wird.
Die Ressourcen sind aber nicht nur Ursache für den Beginn des Konflikts, sondern halten ihn auch am Laufen, denn durch den Handel mit Ressourcen wird der Krieg immer wieder aufs Neue finanziert. Als Rohstofflieferant ist die Demokratische Republik Kongo ein Teil des Weltmarktes, deren Basis die Kolonialisierung maßgeblich schuf und das Land in einseitige Abhängigkeit geraten ließ. // aus: Ressourcen im Kongo
Ist das kompliziert? Nein. Das ist recht simpel. Dort herrscht Krieg, weil die Gier der Industrienationen nach „immer mehr“, die in unserem Wirtschaftssystem institutionalisiert wurde, „haben will“. In diesem Falle die Rohstoffe eines Landes. Das ist nicht kompliziert – das ist simpel: Wir leben auf Kosten anderer Menschen!
Ich schreibe diesen Artikel mit Hilfe der Ressourcen, um die es in diesem Krieg in Wahrheit geht. Es geht noch weiter: Ich verbrauche mehr Energie und Ressourcen, als mir zustehen, wenn man die vorhandene Menge auf alle Menschen der Welt gleich verteilen wollte. Selbst der ökologischste Öko-Fuzzie in diesem Land tut das, wenn er hier wohnt, eben weil er hier wohnt. So einfach ist das.
Das ist nicht kompliziert. Das ist einfach. Wir sind nur offensichtlich als Gesellschaft verlogen genug, dass wir das nicht wahrhaben wollen, drum haben wir’s eigentlich gerne „kompliziert“. Das entlastet den Einzelnen. Ich hab’s schonmal gesagt, da hätt’ ich ja lieber die Monarchie wieder zurück: Ich will die Monarchie zurück – Virtu(ell)nwaswirkönnen. Da waren simple Gründe allemal ausreichend.
Mir gefällt unsere politische und wirtschaftliche „Alternativloskultur“ nicht. Unsere sogenannte „freie“” Marktwirtschaft fesselt und knebelt uns immer mehr. Ich habe den Eindruck, sie macht uns in Wirklichkeit unfrei.
Zum Abschluss noch ein Satz von Lichtenberg, der mir dabei aus eine Gedächtnisschublade fiel, und ein älteres Video dazu. Beide scheinen mir zum Thema zu passen:
„Es ist in vielen Dingen eine schlimme Sache um die Gewohnheit. Sie macht, dass man Unrecht für Recht, und Irrtum für Wahrheit hält“ (Georg Christoph Lichtenberg)
[youtube http://www.youtube.com/watch?v=-kwVsd6eeKI?wmode=transparent]
Perspektiven – jo jmatic