Don’t be naiv

[…] Denn seit wann geht es in Sachen Unternehmen oder Regierungen um Vertrauen? Vertrauen kann man einer einzelnen Person, aber weder einem Unternehmen (noch dazu einem mit rund 20.000 Mitarbeitern) noch einer Regierung. Weshalb es im Idealfall sowohl im politischen als auch im wirtschaftlichen Bereich funktionierende Mechanismen, Instanzen und Regeln gibt, die an die Stelle von Vertrauen treten und die für ein gewisses Maß an gegenseitiger Kontrolle und/ oder Transparenz sorgen sollen.

 

Auf diese Strukturen kann man sich, wenn man will und überwiegend gute Erfahrungen gemacht hat, verlassen, ihnen also ein gewisses „Vertrauen“ entgegenbringen; ich tue dies beispielsweise im Fall der Demokratie als Staatsform, die sicher nicht perfekt ist, mir aber als relativ zuverlässig und sinnvoll erscheint. […]

Spreeblick war in letzter Zeit für mich ein Hort gepflegter Langeweile, aber der oben verlinkte Artikel von Johnny Häusler ist wirklich lesenswert, weil er eine Ebene tiefer geht, als viele andere Artikel im aktuellen China-Google-Fall.

Ich stimme vielem zu, was dort geschrieben steht, und empfehle jedem auch die Kommentarstrecke in Ruhe zu verfolgen, denn sie zeigt, wie sehr unterschiedlich die Perspektiven sind, und wie notwendig es ist, das Problem aus einem argumentativen Abstand zu betrachten.

Google beugt sich nicht mehr der Zensur in China. Dagegen ist erst mal nichts einzuwenden. Es ist allerdings mehr als wichtig, die Gründe für diese Entscheidung zu analysieren, denn es darf tatsächlich nicht nur eine Frage des “Vertrauens” bleiben. Worauf sollte es gründen? Auf “Don’t be evil”?

Das “Don’t be evil” von Google wird in einer solchen Diskussion schnell zum “argumentum ad ignorantiam”: Mag sehr wohl sein, dass die derzeitigen Führungskräfte moralisch integer und philosophisch reflektiert in die Zukunft blicken, und auch so handeln wollen, aber was, wenn diese Personen, aus welchen Gründen auch immer, zukünftig plötzlich andere sind? Wer kontrolliert Google? Wer kontrolliert andere Konzerne? Konzerne an sich sind nur systemische Einheiten innerhalb einer global funktionierenden Wirtschaft, die an sich keine Moral besitzt, sondern an Umsätzen, Quartalszahlen und Gewinnen orientiert ist. 

Das ist im Prinzip die alte Frage, die Karl Jaspers schon im Zusammenhang mit der Atombombe gestellt hat: “Wer sagt, um jeden Preis müsse die Menschheit am Leben bleiben, ist nur glaubwürdig, wenn er weiß, was der Totalitarismus ist.” Auf uns heute bezogen und populär geprochen: Lohnt das Leben in der Matrix? Kann es sein, dass ein Totalitarismus der Wirtschaft ein ebenso erschreckendes Szenario ist?

Die Vertrauensfrage im Falle Google ist doch: Ist China für Google erstens 1,3 Mrd. unter Zensur leidender Menschen, oder zweitens ein Markt? Diese Frage ist schnell beantwortet: Die Zensur herrschte auch beim Markteintritt von Google. Man hätte sich dem niemals beugen müssen, es sei denn man wollte unbedingt in diesen Markt. Fertig.

Ist Google deshalb dann doch “evil”? Nein. Ein Konzern wie Google ist ein Kind der gerade geborenen digitalen Evolution unserer Gesellschaft. Kaum volljährig und ein reiner Dienstleister. Ein Werkzeug. Per se erstmal amoralisch – schlicht, ohne Moral. Worin sollten wir da vertrauen? Höchstens in seine Funktion. In seiner Anwendung muss ich auf die Menschen vertrauen, die es benutzen. Es ist ersetzbar. Das ist nicht nur eine Erkenntnis, sondern sollte auch unser Credo sein, damit wir nicht in falsche geistige Abhängigkeiten geraten.

Die Vermutung “[…] Google wäre in der moralischen Pflicht,  […] ” von mspr0 in seinem Artikel: Google vs. China – Postnationale Cyberwars ist deshalb natürlich solange (wohlwollend) naiv zu nennen, bis sich die Menschheit aufmacht, tatsächlich eine Ethik der globalen Wirtschaft und also (altes Thema) mithin eine Ethik des modernen Kapitalismus zu schaffen, die diese Wirtschaftsform und ihre Werkzeuge kontrolliert.

Es ist richtig: Wir vertrauen clevererweise nicht unseren Regierenden und Regierungen, sondern wir vertrauen erprobten demokratischen Strukturen. Wir vertrauen der Gewaltenteilung. Wir üben – ohne Zensur – Kontrolle durch Presse, freie Meinungäußerung und außerparlamentarische Opposition aus. Dieses System hat sich bis heute bewährt. Es wird sich weiter bewähren, wenn wir, die Bürger, durch unser Engagement dafür sorgen, dass die Herausforderungen dieser Zeit, namentlich “Globalisierung“ und “Weltgemeinschaft“, unter diesen Aspekten und Prämissen behandelt werden.

Wovon die Rede ist, ist also, am Beispiel des aktuellen Falls, nicht, die Macht von Wirtschaftskonzernen  in unserem Sinne herbei zu beten, sondern Demokratie und eine global erträgliche Ethik in unser Wirtschaftssystem zu injizieren. Dann steht die globale Wirtschaft endlich im moralischen Anzug da und muss auf Flecken achten. 

Wie gesagt: Google beugt sich nicht mehr der Zensur in China. Dagegen ist erst mal nichts einzuwenden. Zu beachten sollte allerdings sein: Nicht nur, dass der Zweck nicht immer die Mittel heiligt, sondern die Mittel dürfen auch nicht den Zweck verhüllen. 

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