Ich weiss wirklich nicht, ob Greenpeace gut beraten ist, so zu argumentieren, wie in diesem Artikel: Greenpeace-Studie zu RWE, Eon & Co: Stromkonzerne pfeifen auf Erneuerbare – taz.de.
Die Umweltschutzorganisation Greenpeace hat die marktbeherrschenden vier großen deutschen Stromkonzerne zur mehr Investitionen in erneuerbare Energien aufgefordert. Derzeit deckten Eon, RWE, Vattenfall und EnBW zwar 68 Prozent des erzeugten Stroms, lieferten aber nur 0,5 Prozent des Stroms aus Wind- und Sonnenkraft, teilte Greenpeace am Dienstag in Berlin bei der Vorstellung einer Studie zum Ökostrom-Engagement der vier Unternehmen mit. (weiter hier: http://diigo.com/0gs1l)
Wir haben bis hierher die Erfahrung gemacht, dass es der Gesellschaft und einer zukunftstauglichen Entwicklung von Technologie – im Hinblick auf das Wohlergehen von Welt und Nachkommen * – nicht gut tut, wenn die Kontrolle über Energie in den Händen weniger liegt, die noch dazu ihr Augenmerk auf ihren Börsenschrittmacher legen müssen. Das gilt für Strom und Erdöl. Konzerne, die quartalsgetrieben auf ihre Börsenrankings schauen müssen und von ihren Aktionären gepeitscht werden, agieren nicht nachhaltig. Sie agieren rein gewinnorientiert. Fertig.
Mittlerweile dürften die meisten Bundesbürger begriffen haben, dass Strom – bildlich gesprochen – aus einem grossen Stromsee in die Haushalte fliesst, und dass es allein darauf ankommt, aus welchen Quellen sich dieser Stromsee speist. Das ist die Erkenntnis, die das Steckdosen-Argument (Ist doch egal, bei wem ich Strom beziehe aus der Steckdose kommt immer Atomstrom.) ad absurdum führt. Allerdings darf man an dieser Stelle nicht aufhören zu denken, und glauben, es sei alles damit getan zu einem
richtigen Ökostromanbieter zu wechseln. Es geht jetzt darum, wie die Zukunft unserer Energieversorgung aussehen soll.
Die grundsätzliche Frage, die man jetzt stellen muss, ist: Sollte Energie wirklich frei den kapitalistischen Hebelkräften ausgesetzt sein? Was das zur Folge hat, kann man ja jetzt schon deutlich sehen: Man droht dem Volk mit derben Preissteigerungen, wenn man dem Volkeswillen nach einem schnellen Atomausstieg nachkommen soll. Die Politiker machen sich da in vorauseilendem Gehorsam zu den Ausrufern der großen Stromkonzerne und zeigen dem dummen Volk mal, was sie da angezettelt haben. Frei nach dem Motto: Das habt Ihr jetzt davon. Ihr habt schlafende Drachen geweckt und jetzt müsst ihr die entsprechenden Opfer bringen, um sie zu besänftigen.
Nur zur Klarstellung: Wir reden hier von Stromkonzernen die Milliardengewinne machen (seit 2002 haben die vier Stromriesen zusammen über 100 Mrd. Euro Profit gemacht), und die schon vor vielen Jahren Rückstellungstöpfe gebildet haben, aus denen der Rückbau der Atomkraft finanziert werden kann. Allerdings gibt es aber auch schon seit langer Zeit üble Verträge, bei denen sich die Politik über den Tisch ziehen hat lassen:
Regierungsvertrag mit Atomindustrie: Weniger Sicherheit für mehr Geld.
Zurück zum Anfang: Greenpeace will nun also den großen Stromkonzernen Feuer unterm Hintern machen, damit die auf die erneuerbaren Energien umsteigen. Ok. Das erscheint zunächst eine logische Forderung. Aber! Was passiert aber, wenn diese Konzerne dann demnächst wirklich in diesem Bereich Gas geben? Sie bauen zum Beispiel die geforderten Offshore-Windparks in der Nordsee und ziehen dicke Kabel durch das Land um die Versorgungssicherheit des einen grossen Stromsees herzustellen. Sie engagieren sich wahrscheinlich auch im Ausland in Projekten wie desertec, was ich vor Wochenfrist hier schonmal vorgestellt habe:
Neue Techniken – neue Probleme?. Sie werden wiederum damit argumentieren, dass dieser Ausbau (+ der Rückbau der Atomkraftwerke) Unsummen kostet, dass Abhängigkeiten von ausländischen Ressourcen entstehen und deshalb die Strompreise steigen werden. Sie werden damit auch durchkommen, denn sie haben die Hand auf unserer Energieversorgung, die damit wieder zentralisiert ist (Stichwort: großer Stromsee). Man darf auch weiterhin davon ausgehen, dass genau wie im Ölmarkt auch bei der Energiegewinnung im Ausland (Nordafrika) nur ein paar global agierende Konzerne davon profitieren werden, denn niemand sonst hat die entsprechenden Mittel um solche Projekte anzustossen.
Die Frage ist aber, muss diese Zentralisierung wirklich sein? Könnte die Politik nicht jetzt dafür sorgen, dass die Energiefrage in diesem Land völlig neu diskutiert und gelöst wird. Ansätze dazu gibt es genug: Wie wäre es, wenn die Politik die kleineren Unternehmen in diesem Bereich unterstützt, so dass die Zahl Großkraftwerke minimiert werden kann, und aus dem grossen Stromsee eine Seenplatte werden kann, weil kleine Energieerzeuger (mittelständische Firmen und Kommunen) vor Ort Strom erzeugen und auch dort nutzen. Zuviel produzierter Strom wird dabei dann durch neue intelligente Vernetzung in andere Seen, die gerade Bedarf haben umgeleitet. Man spricht hier von sogenannten Smart Grids:
Energiewirtschaft – Strom sparen mit Smart Grids.
Ein interessanter Satz steht am Ende des eben verlinkten Artikels:
„[…] wenn ein Bürger in seiner eigenen Immobilie eine Photovoltaikanlage oder eine KraftWärme-Kopplungsanlage betreibt, dann wird der Kunde zum „Produzent“ und „Konsument“ in einer Person.“
Das hat eine beträchtliche politische Dimension. Dieses Modell der Seenplatte auf Kommunen übertragen, könnte eine völlig neue faire und demokratische Art der Energieversorgung sein. Insofern würde ich Greenpeace raten vorsichtig damit zu sein, die politische und gesellschaftliche Dimension der augenblicklichen Umbruchsituation aus dem Kalkül zu lassen. Es geht um sehr viel mehr als nur eine andere Form der Energiegewinnung. Der Bürger ist hier schon wieder gefordert, weil er mit denken und mit diskutieren muss. Eine Ethikkommission der Bundesregierung wird das nicht leisten.
Und noch eins: Wenn ich schon mehr zahlen muss, dann will ich auch politisch und gesellschaftlich eine Lösung der Energiefrage, die „nachhaltig“ ist. Das Banken- und Atomkonzerndesaster der letzten Jahre sollte uns doch wirklich lehren, dass man viel eher demokratische Fairness globalisieren sollte, um bisher unkontrollierbare Konzerne und Systeme wieder in den Griff zu kriegen.
Ich würde sogar noch viel weiter gehen und die Frage, die auch
Herr Lesch gestellt hat, gerne erweitern: Darf man mit Energie überhaupt Geld verdienen? Sollte sie nicht jedem Menschen, unter strengen ökologischen Auflagen, grundsätzlich zur Verfügung stehen – so wie Wasser? Stellen wir uns doch mal vor, Wasser befände sich komplett und weltweit in der Hand grosser börsennotierter Konzerne, und es kriegt nur Wasser, wer auch zahlen kann – und Qualität und Verteilung hängen davon ab, wieviel man zahlen kann. Wäre das eine erstrebenswerte Welt?
Ich habe darauf noch keine Antworten. Die Frage muss bis hierhin als Anfang genügen.
* = Mir fällt gerade auf, wie sehr mir das Wort „nachhaltig“ jetzt schon auf den Geist geht – und noch mehr, wenn ich daran denke, dass es meine Restlaufzeit wohl begleiten wird – aber es trifft eben den Punkt, denn ich habe es eben (oben) sehr schwammig mit „einer zukunftstauglichen Entwicklung von Technologie – im Hinblick auf das Wohlergehen von Welt und Nachkommen“ umschreiben müssen. 😉