Präsidentenpoker und Sparhammer – bekommt Schwarz-Gelb noch die Kurve?
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Über die schwarz-gelben Schicksalstage diskutieren Oskar Lafontaine (Die Linke), Edmund Stoiber (CSU), Manuela Schwesig (SPD), Martin Lindner (FDP) und Hans-Ulrich Jörges.
Quelle: NDR
Warum sind viele Deutsche politikverdrossen? Vielleicht, weil sie von solchen Diskussionen und Politikerauftritten die Schnauze voll haben, wie sie gestern Abend in der ARD bei “Anne Will” wieder zu erleben waren. Ich empfehle, dem Link oben zu folgen und die Sendung anzuschauen. Es schmerzt, aber mit den geeigneten Fragen im Gepäck kann man viel lernen.
Zur Sendung: Na ja, das wäre dann doch zu einfach. Politikverdrossenheit hat viele Gründe. Allerdings ist der Gesprächsbeginn zwischen Frau Scheswig (SPD) und Herrn Lindner (FDP) wirklich bezeichnend: Es ist ein Spiel! Das Schlimme ist nur, dass es ein blödes, langweiliges und leicht durchschaubares Spiel ist. Da kommt man sich blöd vor, wenn man mitmachen und zuschauen muss.
Liebe Frau Scheswig, jeder weiss, dass die stärkere Gruppierung einen Kandidaten aufstellt, der ihre Interessen vertritt. Insofern ist Herr Wulff einfach ein Kandidat zur bevorstehenden Wahl des Bundespräsidenten. Fertig. Mit ihrer schwarz-weiss Gegenüberstellung haben sie dem FDP-Mann eine Vorlage geliefert, die sogar ein Stürmer in der Kreisklasse verwandelt. Das ist taktisch so was von anfängerhaft, dass man der SPD-Führung einen guten Trainer wünscht.
Im Übrigen weiss ich jetzt auch wieder, was ich an Herrn Stoiber immer so katastrophal fand. In mir regt sich immer ein Helferreflex, wenn der Mann redet: Man möchte helfen, für ihn formulieren und ihn leise bitten, doch den Mund zu halten. Es kann sogar sein, dass der Mann was zu sagen hat, allein, man findet es in seinem Gestammel nur selten heraus.
Es tut mir auch nicht leid, sagen zu müssen, dass die ersten interessanten Worte von Herrn Jörges kamen (obwohl ich ansonsten kein Fan von ihm bin), der der SPD wohl ein paar Herzrhythmus-Störungen verpasst hat, in dem er wohl eine Regel des Spiels brach, weil er aus dem Nähkästchen plauderte.
Die nächsten, wenigstens bedenkenswerten, Worte sprach, wie immer, klar und deutlich Herr Lafontaine. Er tat das, was er schon immer gut konnte, er analysierte und legte mit ein paar Fragen gleich mehrere Finger, in mehrere Wunden. Dass er die richtigen Wunden traf, merkte man am, gut vernehmlichen Aufruhr nach seinen Worten. Man mag von Herrn Lafontaine halten, was man will, aber in diesem Gespräch war er derjenige, neben Herrn Jörges, der das Gesprächsniveau nicht ins Bodenlose sinken lies.
Ich teile nicht seine Meinung, dass Herr Gauck den Aspekt der “sozialen Freiheit” ausblendet. Das würde ich ihm nicht unterstellen. Er hat ihn bisher vielleicht nicht zu seinem ureigenen Thema gemacht. Das mag sein. Er hat dafür andere wichtige Themen durchdacht und öffentlich diskutiert. Ihm vorzuwerfen, dass er nicht die politisch-gesellschaftliche “Eierlegendewollmichsau” ist, ist ja auch etwas dünn. Ich bin sicher, sie dürfen ihn im Falle seiner Wahl gerne darauf ansprechen, lieber Herr Lafontaine. Mit Sicherheit wird er sich dann damit qualitativ genauso wertvoll auseinandersetzen, wie mit seinen bisherigen Themen.
Die Linke hat durch ihre personellen “Altlasten” Probleme mit Herrn Gauck. Fertig. Das kann auch Herr Lafontaine nicht wegdiskutieren, egal, wie seine persönliche Meinung ist.
Auch hier analysiert Herr Jörges in der Nachrede zu Lafontaine vieles richtig. Gute Güte, jetzt musste ich ihn schon zweimal loben. Wobei dieses Lob abrupt bei seiner Erwähnung von Ursula von der Leyen endet. Lieber Herr Jörges, wenn sie wirklich glauben, dass das Frauenbild von Frau von der Leyen ein modernes ist, dann möchte ich gerne von ihnen wissen, wo sie die letzten 50 Jahre zugebracht haben.? 😉
Gauck ist jetzt also der Gegenkandidat von Rot/Grün. Die Aktion von Martin Oetting, die ich in den vorigen Artikeln hier schon erwähnte, hatte auch viele andere Namen nach oben gespült, die ich sehr interessant fand: Finale Bundespräsidenten-TagCloud. Und: wir für Gauck! – MHO
Für mich zeigte der ruhige und sachliche Verlauf dieser Aktion, dass eine politische Diskussion und Willensbildung im Netz möglich ist. Das ist ein zarte Pflanze, die man pflegen muss. Da stimme ich Martin Oetting zu.
Wen unterstützt man jetzt? Wie äußert man sich weiter? Ist es sinnvoll weiter im Netz “Wallung” zu machen?
Es ist sicherlich sinnvoll, weiterhin zu diskutieren und Willensbildung zu betreiben. Ob man das jetzt mit dieser Aktion tut: Wir für Gauck, oder ob man sich anderweitig äußert, muss man nun selber rausfinden.
In jedem Fall zeigt die augenblickliche Diskussion um den nächsten Bundespräsidenten für mich sehr deutlich die desolate Verfassung unseres politischen Personals und die demokratischen Möglichkeiten einer offenen Netzkultur. Wir sollten das nutzen unsere Kinder werden es uns danken.