Schlimme Fragen

Heute stelle ich Fragen. Schlimme Fragen. Fragen zu Griechenland, zu Europa und zu unseren Werten. Fragen, die ich eigentlich nicht stellen wollte. Die erste und zentrale Frage, die sich mir stellt, nach all den Nachrichten und Meinungen, die ich zum Fall Griechenland gehört habe, ist: Werde ich zum Euro-Kritiker?

Ich bin kein Finanzfachmann und mir erging es in den vergangenen Wochen in Sachen Griechenland ähnlich wie Herrn Spreng: SPRENGSATZ – Ohne Vertrauen. Ich bin total verwirrt und überfordert in dieser Frage. Offensichtlich haben wir hier nur die Wahl zwischen Pest und Kinderlähmung. Sicher scheint nur zu sein, dass hier etwas gründlich schief gegangen ist, und dass uns das alle mächtig viel Geld kosten wird. Das ist auch der Tenor der meisten Veröffentlichungen in den Medien, vorzugsweise in den TV-Diskussionen.

Doch an diesem Punkt habe ich eigentlich ganz deutlich eine Haltung: Erzählt mir, was Ihr wollt, wenn ich irgendetwas gelernt habe in dieser Gesellschaft, dann, dass am Ende das kleine Wörtchen „alle“ vieles heißen mag, aber niemals nicht „alle“. Am Ende des Tages werden die Geldflüsse zwischen Börsen, Banken und Unternehmen wieder vom Steuerzahler gefüllt.

Erkläre mir doch bitte mal jemand, woher die vielen Milliarden für den nächsten Rettungsschirm genommen werden. Erkläre mir doch bitte mal jemand, wieso Griechenland dann plötzlich geheilt sein sollte, nur weil man mengenweise Geld reinkippt, welches die Griechen dann mit Zinsen(!) zurückzahlen sollen. Woher soll denn dann bitteschön dieses Geld plötzlich kommen? Erkläre mir bitte mal jemand, wohin dieses Geld fließt, wenn es dann tatsächlich irgendwann zurückgezahlt werden könnte. Stop. Die letzte Frage kann ich mir selber beantworten: Es fließt zu den Banken zurück.

So, wie ich das bisher verstehe, machen die Staaten im Moment Steuerzahlergeld locker, welches sie in ein nicht funktionierendes Staatswesen stecken, nachdem die Banken vorher Zeit genug hatten, ihre Griechenland-Papiere abzustoßen und damit ihre Verluste zu minimieren. Womit diese Institute dann auch noch dafür gesorgt haben, dass Griechenland noch schlechter dasteht, als es das ohnehin schon tat. 

Jetzt bieten sie als freiwillige „Rettungsmaßnahme“ an, dem Staat zu „helfen“, in dem sie vergleichsweise lächerliche Summen zum Rettungsschirm beitragen. Wir sprechen hier von Geld, was natürlich für Zinsen verliehen wird. Wir sprechen auch von einem Staat, der sich sowieso Geld leihen muss bei allem was er tut, weil er selber verschuldet ist. Die Frage, bei wem er sich Geld leiht, erspare ich mir jetzt.

Die Griechenland-Situation, so wie ich sie verstehe, ist Insolvenzverschleppung. Dieser Staat ist nicht mehr in der Lage seine Schulden mit dem was er erwirtschaftet zu tilgen. Im Privatbereich ist so etwas strafbar. Auf staatlicher Ebene soll das etwas anderes sein? Warum? Die Antwort der Politik, so wie ich sie verstehe, lautet: Wir wollen und müssen den Euro und die Währungsunion retten. Ok. Das trifft eine weiche Stelle bei mir. Ich halte und hielt die europäische Idee schon immer für erstrebenswert. Ich fühle mich, wenn überhaupt, lieber als Europäer, denn als Deutscher. Ich habe verstanden, dass viele unserer heutigen Probleme nur in globalem Maßstab erkannt und gelöst werden können. Da ist es schlicht sinnvoll über nationalstaatliche Grenzen hinweg zu denken. Aus diesem Grund war ich immer schon für den Euro, den mir leuchtete ein, dass ein großer politischer Verbund sich auch über seine Zahlungsmittel Handlungsfähigkeit garantiert, und mit dem Euro sollte hier Stabilität und Stärke einkehren. Jetzt weiß ich nicht, was ich denken soll. Kann es sein, dass die Währungsunion es im Grunde lediglich den Banken und Versicherungen noch einfacher gemacht hat ihre Gewinne zu maximieren und Einfluss auf Politik und Märkte zu erhalten, und aber der politischen Union, also der Union des kleinen Mannes, überhaupt nichts genützt hat?

Ganz klar ist dann wieder mal, dass der Bürger sich nicht auf seine Politiker verlassen kann. Nicht, weil diese dumm wären, sondern weil das Problem ein derart komplexes ist, und so grundsätzliche Dinge wie die globalen Geldflüsse und die global agierende Wirtschaft berührt, dass es mit ein paar nationalstaatlichen Gesetzen nicht zu regeln ist. 

Einig sind sich die Experten doch nur darin, dass Griechenland kein Einzelfall bleiben wird. Weitere Staaten im Süden Europas werden in absehbarer Zeit in ähnliche Situationen kommen. Kann mir jemand erklären, wie die europäische Gemeinschaft das stemmen will, wenn die Griechenland-Hilfe schon jetzt in Dimensionen vorstößt, die eigentlich nicht mehr finanzierbar sind?

Für mich gibt es ein paar grundsätzliche Wahrheiten: Erzähle mir doch bitte niemand, dass die Griechen in diese Lage gekommen sind, weil sie faul sind. Erzähle mir doch bitte niemand, dass Banken, wie die Deutsche Bank auch nur einen Euro ausgeben, ohne zu wissen, dass sie ihn mit Zinsen zurückkriegen werden, so dass die Quartalsgewinne stetig steigen. Erzähle mir bitte niemand, dass die Menschen in den betroffenen Ländern zu blöd sind, um zu merken, dass sie als Konkursmasse von global agierenden Finanzunternehmen gehandelt werden, und dass die Zukunft ihrer Kinder an den Börsen dieser Welt verzockt wird.

In Nordafrika gingen und gehen Menschen auf die Straße. In Südeuropa gehen die Menschen auf die Straße. Ich kann es kaum erwarten, bis die Menschen hier auch auf die Straße gehen, um für eine menschenwürdige Wirtschaftsordnung zu demonstrieren. Eine EU, die sich nur über ihre Wirtschaft, und die Gewinne weniger darin definiert, ist nichts wert. 

Ich wollte aus der Geschichte gelernt haben, dass man die Augen offen halten muss, um Diktatoren und Diktaturen frühzeitig zu erkennen, und um ihren Aufstieg zu verhindern. Vielleicht habe ich da mit vielen anderen in dieser Gesellschaft doch gepennt, denn offensichtlich gilt das nicht nur für die politische Ebene, sondern auch für die wirtschaftliche Ebene. Ich wollte keine Diktatur der Banken und des Geldes. Ich will keine Diktatur der Superreichen und der Konzerne. Eine solche Diktatur wird letztlich genauso menschenverachtend sein, wie eine auf Rassenhass gegründete Diktatur. Ich will nicht von einem Josef Ackermann und seiner deutschen Bank regiert werden, und meine europäischen Mitbewohner in Griechenland wollen das sicher auch nicht.

Zurück zur Eingangsfrage: Werde ich zum Euro-Kritiker? Ja. Ich fürchte schon – auch wenn es schmerzt. Ich bin und bleibe überzeugter Europäer, aber eine EU und einen Euro unter diesen Umständen will ich nicht.

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