Auf den Schultern spielt die Musik

Habe schon ein paar Male versucht, in diesem Blog wieder zu schreiben, aber immer wenn ich den letzten Artikel sah, blieben mir die Hände stehen. Nicht, dass ich das für Virtu(ell)nwaswirkönnen tragisch fände, denn ich nehme mein Geschreibe hier nur für mich wichtig. Ob, und wer hier liest und hört, ist mir egal. Doch erst fehlten mir die Worte, und dann fehlte mir der Mut, an den Altar zu treten, und ihn wieder zu dem zu machen, was er ist: der verdammte Küchentisch.

Das Leben geht weiter. Das ist der Satz, der in diesem Zusammenhang – dem Tod von Menschen, die uns wichtig sind – am meisten verwendet wird, von Freunden, Bekannten, Verwandten und ja: von mir auch. Keine Ahnung, wie oft ich ihn in letzter Zeit gehört habe. Dieser Satz entbehrt ja auch nicht einer gewissen Logik, in dieser Gesellschaft, in der die Menschen darauf gedrillt sind, immer zu funktionieren. Wahrscheinlich lassen wir auch darum meist den zweiten, und wie ich finde, wichtigen Teil dieses Satzes weg: „Das Leben geht weiter, aber nicht mehr so wie vorher.

Das ist die Wahrheit: Da stirbt ein Mensch, und ja, dein Leben geht weiter, aber dieser Mensch hat Spuren in dir hinterlassen, hat dein Leben geprägt, hat Schultern bereit gestellt, auf denen du nach allen Seiten schauen konntest. Wir wären nicht das, was wir sind, ohne sie: unsere Ahnen. Wir stehen auf Schultern von Giganten. Dieser Satz gilt nicht nur für die Einsteins und Beethovens dieser Welt. Nein. Wir alle stehen auf Schultern von Giganten.

Ich mache keinen Hehl daraus, dass mir das ganze christliche und moslemische Religionsgedöhnse überhaupt nix gibt, außer äußerst interessanten Einblicken in die menschliche Natur. Und ja, ich weiß, wovon ich rede, denn ich war lange Jahre Teil der Maschinerie. All die Heilsversprechen in einem zukünftigen ewigen Leben und das ganze, von unablässigen Predigten implantierte, schlechte Gewissen im Diesseits, dass der Mensch ob seiner Unvollkommenheit haben soll, ist doch Bullshit. Das ist nicht mehr, als die clevere Verwaltung und Kanalisierung der Hinterlassenschaften und des Ballasts menschlicher Urängste, die wir bis heute mit uns durch die Existenz schleppen. Kanalisiert und verwaltet von den Weltreligionen.

Bevor die Frage kommt: Nein, ich bin nicht frei von diesen Ängsten. Ich schleppe diese Ängste auch mit mir mit. Ich stelle mir genau die gleichen Fragen, wie der Mensch vor fünfhundert Jahren: Was passiert nach dem Tod? Gibt es da etwas Größeres? Ich habe keine Ahnung. Ich werde genau nach solchen Ereignissen, wie dem Tod nahe stehender Menschen, mit Macht und der Nase voran, in diesen stinkenden Haufen von Existenzfragen geworfen und habe keine Ahnung, und, schlimmer noch: Ich habe nur Antworten, die in Wirklichkeit weitere Fragen sind. Schlimmer? Wirklich? Nee! Doch dazu später.

Ich könnt’s mir ja einfach machen: Die jeweilige Religion bietet darauf seit Jahrhunderten wohlfeile vorgefertigte Antworten. Ich sage nur ewiges Leben, unsterbliche Seele, haufenweise Jungfrauen, und so weiter. Es wäre einfach, darauf zurück zu greifen: Xy ist jetzt im Himmel und schaut von da auf dich herab und eure Seelen treffen sich alle im Jenseits wieder, während der körperliche Rest von euch hier vermodert. Was? Ach, du Kacke! Das hat mir gerade noch gefehlt: Big Brother is watching you! Und wenn ich dann den Abgang gemacht habe, kommt meine unsterbliche Seele am Himmelstor an, und Oma, Opa, Onkels und Tanten ziehen mir erst mal vor dem Eingang gepflegt und in aller Ruhe das nicht vorhandene Fell über die nicht vorhandenen Ohren, weil ihnen so gar nicht gefallen hat, was sie gesehen haben? Na ja, was soll’s. Haut rein. Wir haben ja eine Ewigkeit Zeit. Super. Da brauch‘ ich mir um’s jüngste Gericht ja keine Sorgen mehr zu machen, denn wenn die mit mir fertig sind, gehe ich garantiert durch ein Nadelöhr.

Nee, tut mir leid, für mich ist das alles eine Horrorvorstellung. Keine Zeit, kein Körper, kein Spass, kein Schmerz, keine Entwicklung, nix Unbekanntes, nix, was es noch zu entdecken gibt. Ehrlich, das muss die Hölle sein! Hört mir zu Christen und Andersgläubige: Alleine schon der Begriff Ewigkeit macht mir Gänsehaut auf der Hirnschale. Von Vorbestimmung will ich gar nicht reden. Das ist in meinen Augen das langweiligste und unmündig haltende Konzept von allen. Wir unterliegen Vorbestimmungen in unserem Handeln, keine Frage. Wir handeln vorbewusst und unbewusst, ganz sicher, aber auf Grund unserer Prägungen durch unsere Ahnen und der Umwelt, in der wir aufwachsen, nicht durch Typen oder Entitäten in anderen Sphären, die den großen Plan entwerfen. Selbst wenn es so was gäbe, würde es für mich keine Rolle spielen, denn ich hätte weder Kenntnis von deren Plan, noch von ihrer Moral und ich hätte schon gleich gar keinen Einfluss auf den Spielverlauf. Also, drauf geschissen. Das ist doch langweilliger Mist für Kreuzworträtseljunkies.

Wir stehen auf Schultern von Giganten, im Guten, wie im Bösen. Das ist, was ich glauben kann. Das ist Entwicklung. Das ist das unbekannte Land. Das macht es wert. Deshalb sind die Antworten, die eigentlich Fragen sind nicht schlimm, sondern das eigentlich tolle an dieser Existenz. Und dieses Abenteuer lasse ich mir durch Schicksalsbücher und Vorbestimmungseindimensionalitäten nicht kaputt machen. Nicht, bis zum Beweis des Gegenteils. Das hat mich das Leben meiner Ahnen, tot oder lebendig, bis hierhin gelehrt. Aus diesen Gründen geht das Leben nach dem Tod von uns nahe stehenden Menschen weiter, aber nicht mehr so wie vorher: weil unsere Ahnen die Welt, unsere eigene kleine Welt, in ihrem Leben geprägt haben und durch ihren Tod vor neue Herausforderungen stellen – bewusst oder unbewusst. Das kann ich glauben.

In mir brennt ein Feuer, dass mein Ahn in mir entzündet hat. Keine Ahnung, ob er das absichtlich tat, und ob ihm die Farbe des Feuers jemals gefiel, aber ich bin ihm dankbar dafür. Ich bin meinen Ahnen dankbar für dieses Abenteuer Leben, unabhängig davon, wie lange es noch anhält, und wie es ausgehen mag. Ein Geschenk, das ich nicht logischerweise nicht verdient habe. Danke.

PS: Wisst ihr, was wirklich witzig ist? Eigentlich wollte ich eben über ein völlig anderes Thema schreiben und nur ein paar einleitende und erklärende Sätze schreiben, um dann zu dem anderen Thema zu kommen. Hat glücklicherweise nicht funktioniert.

PPS: Ach ja, noch was zu den Schultern von Giganten: Der Trick, und das Geheimnis daran, ist: Rauf krabbeln muss jeder selber.

PPPS: Ich danke Stefan Stoppok, der mit seiner Poesie gestern Abend, bei einem wundervollen Konzert, meine Gedanken sortiert hat. Ich hab‘ mir erlaubt für einen kurzen Moment auf seine Schultern zu krabbeln. Danke.

1 Kommentar zu „Auf den Schultern spielt die Musik“

  1. Hast du schön beschrieben , ja das Leben geht weiter und auch die Erde dreht sich weiter ,ungeachtet dessen, was wir empfinden , aber nichts ist mehr wie vorher .man betrachtet die Menschen die einen umgeben oft als selbstverständlich, so lang ,bis sie plötzlich weg sind und damit vieles, was man vlt gern noch gesagt hätte. Trauer darf man haben , aber bitte nicht so lang , es muss ja schliesslich mal gut sein, denn das Leben geht weiter…..nur anders
    was bleibt sind Erinnerungen und Sätze ,an die man in bestimmten Situationen denkt, und oft auch ausspricht .

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