Ich wähle klein – aus Überzeugung

Zusammenfassung

Dieser Artikel erläutert meine Beweggründe, bei dieser Wahl bewusst eine kleinere Partei zu unterstützen. Meine Wahlentscheidungen sind von persönlichen Werten und Überzeugungen geleitet, anstatt taktischen Überlegungen zu folgen. Ich unterscheide zwischen kurzfristiger Taktik und langfristiger Strategie. Ich bevorzuge Letztere, da sie auf grundlegenden Prinzipien basiert und mir nachhaltiger erscheint. Es geht mir um die Bedeutung von authentischen Überzeugungen in einer parlamentarischen Demokratie.

In der letzten Woche wurde ich mehrfach auf meinen Volt-Hinweis im vorletzten Artikel „Es ist Demokratie, Dude“ angesprochen. Der Kern dieser Gespräche war die Angst meiner Gesprächspartner, ihre Stimme „zu verschenken“, wenn sie eine kleine Partei wählen.

Das ist natürlich ein gewichtiges Argument. Aber es gibt ebenso triftige Gründe, warum es für manche Menschen sinnvoll erscheint, ihre Stimme einer Partei zu geben, die voraussichtlich nicht ins Parlament einzieht. Meine Gründe dafür sind folgende:

1. Als vernünftiger Ausdruck von Protest und Unzufriedenheit

Viele Menschen in unserem Land wählen nicht. Protest, Unzufriedenheit und Gleichgültigkeit werden von diesen Nichtwählern oft als Gründe angegeben. Das ist aus meiner Sicht eine völlig falsche Form des Protests – und eine gefährliche Form von Ignoranz noch dazu, denn sie gefährdet unsere repräsentative Demokratie.

Protest und Unzufriedenheit gehören jedoch selbstverständlich zu einer Demokratie und verlangen nach Ausdruck. Ist man unzufrieden mit den Themen und Lösungen der etablierten Parteien, kann man seine Stimme aktiv nutzen, um seine Unzufriedenheit durch die Wahl einer kleinen Partei zu zeigen. Selbst wenn die gewählte Partei aktuell keine direkte politische Macht erlangt, sendet jede „Protest“-Stimme ein klares Signal: Es gibt alternative Sichtweisen und Kritik an der aktuellen Politik.

Eigentlich überflüssig, an dieser Stelle die AfD und die Grünen zu erwähnen – beide sind das Ergebnis solcher „gewählten“ Proteste. Was also damals durch vermeintlich „verschenkte“ Stimmen wirkmächtig war, kann wieder funktionieren.

2. Als Repräsentation der eigenen Überzeugungen

Für mich ist es wichtiger, dass meine Stimme meine Werte und politischen Überzeugungen widerspiegelt, als taktisch für einen bestimmten Wahlausgang zu stimmen. Ein reines Gewissen und das Gefühl, meine Meinung klar vertreten zu haben, haben für mich Vorrang vor kurzfristigem taktischem Denken im Mehrheitswahlkampf.

Ich wähle nach meinen Überzeugungen – weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass nur Überzeugungen auf lange Sicht wirksam sind: nachhaltig, konstruktiv, beständig. Taktische Stimmabgaben hingegen führen Wähler in einer parlamentarischen Demokratie nach meiner Beobachtung oft in die Frustration. Denn in den folgenden vier Jahren sehen sie ihre Ansichten und Wünsche nicht so umgesetzt, wie sie es erhofft hatten. Taktisches Wählen funktioniert in Befehlsketten, wo Entscheidungen direkt und unmittelbar in Taten umgesetzt werden – doch genau das ermöglicht eine parlamentarische Demokratie nicht. Kurz gesagt: Wer taktisch wählt, läuft fast zwangsläufig Gefahr, enttäuscht zu werden.

3. Zum langfristigen Aufbau von Alternativen

Auch wenn eine Partei bei der nächsten Wahl nicht direkt ins Parlament einzieht, kann jede Stimme dazu beitragen, ihre Sichtbarkeit zu erhöhen und ihre Glaubwürdigkeit zu stärken. Langfristig kann das dazu führen, dass die Partei wächst, mehr Unterstützer gewinnt und möglicherweise in Zukunft die 5-%-Hürde überwindet.

Ich nehme mit meiner Stimme an einem Marathon teil – nicht an einem Sprint.

4. Als Einfluss auf den politischen Diskurs

Auch wenn eine kleine Partei keine Sitze im Bundestag erlangt, kann sie Themen und Forderungen in den öffentlichen Diskurs einbringen. Ein erhöhter Stimmenanteil – selbst ohne unmittelbare parlamentarische Repräsentation – kann etablierte Parteien dazu bewegen, bestimmte Themen aufzugreifen oder sich inhaltlich anzupassen, um diese Wählergruppe nicht zu verlieren.

5. Als Signalwirkung für das politische System

Eine Wahlentscheidung für eine weniger etablierte Partei kann als Appell an das politische System verstanden werden, mehr Raum für unterschiedliche Meinungen und gesellschaftliche Gruppen zu schaffen. Sie zeigt, dass auch Randpositionen Teil der demokratischen Willensbildung sind und in der öffentlichen Debatte Gehör finden sollten.

Insgesamt dient die Wahl einer kleinen Partei weniger als taktisches Mittel zur direkten Einflussnahme im Parlament, sondern vielmehr als Ausdruck individueller politischer Haltung, als Impulsgeber für den gesellschaftlichen Diskurs und als langfristige Investition in eine vielfältigere politische Landschaft.

Mit anderen Worten:

Ich bin kein Protestwähler, aber ich wähle nach meinen Werten und Überzeugungen – nicht taktisch und nicht mit Fokus auf kleinteilige, komplizierte Probleme, die ich im Zweifelsfall nicht einmal vollständig durchblicke.

Wenn ich im Bild bleiben will, würde ich sagen: Ich wähle nicht taktisch, sondern strategisch. Taktik wirkt im Moment, Strategie richtet sich auf die Zukunft. Sie ist grundlegender, klarer strukturiert und nachhaltiger. Meine Strategie orientiert sich an meinen Werten – und an den Überzeugungen, die daraus entstehen. Damit kann ich umgehen. Das lässt mich mich wirksam fühlen.

All diese Gedanken führen mich derzeit zu einer „kleinen“ Partei – genauso gut könnte es aber auch eine etablierte Partei im Bundestag sein.

Meine Überzeugung: Eine parlamentarische Demokratie braucht gewählte Überzeugungen.

Macht’s gut – und ein schönes Restwochenende!

der jo

6 Kommentare zu „Ich wähle klein – aus Überzeugung“

  1. Moin Jo,
    gut geschrieben und nachvollziehbar. Aber … Ich hab das heftige Gefühl meine Stimme zu verschenken. Die rechte Seite muss klein gehalten werden. Dafür brauchts Gegengewicht im Bundestag. Apo hin, Apo her.
    Grüße nach Bad Kreuznach
    Ralf

    1. Huhu Ralf,
      absolut nachvollziehbar. Hauptsache Du bist mit Deiner Entscheidung im Reinen. Mir fällt gerade auf, dass die Überschrift eigentlich „Ich wähle klein und aus Überzeugung“ hätte lauten müssen. F***. Naja, egal. 🙂
      Danke für Deine Gedanken.
      Grüße nach Bingen
      jo

  2. Schonmal vielen Dank auch für die Informationen bei der DS Schulung. Wusste nicht wie weit dieses Thema uns umgibt. Nebenbei noch politische Bildung, wer hätts gedacht :)))))
    Danke.

    nebenbei, Beklopptes Titelbild 😀

    1. Moin.
      Sehr gerne. Hat Spaß gemacht mit euch. Gute Gruppe. Tolle Fragen. 🙂
      Gehört alles zum freundlichen Service der Firma. 😉

      Titelbild: Naja, ich find’s total normal, aber ich muss mir das Face ja auch jeden Morgen anschauen. :->

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