Ich hab’ in grauer Vorzeit demonstriert. NATO-Doppelbeschluss, Aufrüstung, Atomwaffen und der Kalte Krieg waren damals die Themen. Viele Menschen – mich eingeschlossen – in diesem Land befürchteten, dass Politiker wie Reagan und Breschnew zu leichtfertig mit zu viel Macht herumspielten. Heute bin ich fast versucht, mir die beiden Herren zurückzuwünschen. Man konnte – und muss bis heute – den beiden damaligen Protagonisten des Kalten Kriegs vieles vorwerfen, aber eine Sache nicht: Opportunismus. Ganz im Gegensatz dazu erleben wir heute die Serie: Ein Hoch auf die Doppelmoral!
[Ironie ein]
Pilotfolge
In der Pilotfolge von „Ein Hoch auf die Doppelmoral“ werden zwei brillante Akteure vorgestellt: F. Merz und J.D. Vance. Sie wetteifern darum, den Begriff „Prinzipien“ im Bundestag und auf einer Sicherheitskonferenz als flexibles Accessoire zu präsentieren, das man je nach Bedarf an- oder ablegen kann.
Meinungsfreiheit deluxe – das US-amerikanische Vorbild
Nehmen wir J.D. Vance, der mit leuchtenden Augen behauptet, dass Europa die Meinungsfreiheit in heroischem Maße einschränke – man stelle sich vor! Offenbar hat er ein besonderes Faible dafür, den europäischen Gesetzgebern vorzuhalten, dass sie etwa bei Hassrede zu streng seien. Und während er dieses kostbare Gut verteidigt, sorgt sein liebster Präsident Donald Trump dafür, dass kritische Stimmen – sprich die Associated Press (AP) – ganz schön auf der Ersatzbank sitzen.
Während also Vance in Europa für uneingeschränkte Meinungsfreiheit plädiert, schließt Trump die renommierte Nachrichtenagentur Associated Press von seinem Kommunikationskreislauf aus – ein klarer Schritt, um kritische Berichterstattung zu unterbinden. Welch ein faszinierender Twist: Einer fordert freie Meinungsäußerung im Ausland, während Voldemort Orange zu Hause mit einer eleganten Exklusion kritischer Medien aufwartet.
Die „Brandmauer gegen Rechts“ – Deutschlands charmante Ironie
Und dann haben wir da noch Friedrich Merz, den unerschütterlichen Ritter der „Brandmauer gegen Rechts“. Öffentlich verkündet er mit Inbrunst, dass jede Zusammenarbeit mit der AfD ein absolutes No-Go sei – die ideale Festung gegen den rechten Strom. Doch was passiert hinter den Kulissen? Im Bundestag wird ganz pragmatisch eine Eingabe mit Hilfe der Stimmen der AfD beschlossen.
Wie könnte es anders sein, wenn Opportunismus regiert! Da wird aus dem heroischen Slogan plötzlich ein praktisches Mehrheits- und Wahlinstrument. Offensichtlich gilt: Prinzipien sind nur dann heilig, wenn sie zur richtigen Zeit und in der passenden Umgebung gebraucht werden.
Bleiben wir gespannt auf die nächsten Folgen: Wird Voldemort Orange aka D. Trump die Disziplin „Prinzipien selektiv handhaben“ per Dekret zur olympischen Disziplin erklären – und F. Merz als Copycat verklagen?
[Ironie aus]
Prinzipientreue gegen Macht
Man muss es schon bewundern, mit welcher Offenheit und welchem Selbstverständnis die genannten Akteure hier agieren: In beiden Fällen zeigt sich ein vorzügliches Spiel mit den eigenen Idealen. Kritische Stimmen werden ausgeschaltet, unliebsame Meinungen delegitimiert, und selbst die „Brandmauer gegen Rechts“ erweist sich als wandelbar und flexibel – ganz nach dem politischen Kalkül des Moments.
Macht mir schon heftig Bauchweh, wenn ich mir vorstelle, dass wir in einer Welt leben, in der Opportunismus offensichtlich zur Top-Tugend mutiert. Prinzipientreue – dieses völlig aus der Mode gekommene Konzept – passt halt schlecht in Politikbiotope, in denen unfassbar reiche Menschen an die Hebel der Macht gelangen.
Mit Prinzipientreue und Mitgefühl wird man weder richtig reich noch mächtig.
Nur damit keine Missverständnisse entstehen: Ich bin ein Fan von Kompromissen in der Politik. So funktioniert unsere Demokratie. Die reine Lehre hat noch nie irgendwo ins Paradies geführt. Kompromisse sind wichtig und müssen angestrebt werden – aber doch bitteschön immer unter dem Brennglas der eigenen Prinzipien und Werte.
Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber meine am Anfang kurz genannten Lebenserfahrungen sagen mir heute ganz deutlich, dass opportunistische Strategen in Machtpositionen viel gefährlicher für unsere Zukunft sind als prinzipientreue Politikerinnen und Politiker – auch wenn sie nicht unsere politischen Überzeugungen teilen.
Nur so lässt sich nach meiner Überzeugung das Fundament der Demokratie stärken, Vertrauen rechtfertigen und Demokratie bewahren.
Opportunismus in der Politik ist ein Demokratie-Killer. Um die Demokratie zu schützen, müssen Politiker konsequent integrativ und wertebasiert handeln – ohne Doppelmoral und ohne opportunistische Kompromisse.
Ich habe fertig.*
* Naja, nur für heute. 🙂